Montag, 15. Juni 2009

Philips Schwester/ Auseinandersetzung mit dem Tod

Ich möchte mich in diesem Eintrag etwas näher mit Philip K. Dicks Beziehung zu seiner Schwester auseinandersetzen. Dies soll jedoch keine biographische Übersicht werden. Ich möchte bestimmte Aussagen seinerseits zitieren um unser Verständnis für seine Situation, Herangehensweise und sein Werk zu verbessern.

Was ist real?“ und die beängstigende Folgerung „ Was ist menschlich?“
Diese beiden Fragestellungen ziehen sich durch Phlip K. Dicks gesamtes Werk. Immer wieder bilden sie die zentralen Punkte in seinen Geschichten.

Dick:
„Ich will über Menschen schreiben, die ich liebe, und sie in eine fiktionale Welt versetzten, die mein eigener Geist hervorgebracht hat, nicht in die Welt, in der wir tatsächlich leben, weil die tatsächliche Welt nicht meinen Maßstäben entspricht. Okay, dann sollte ich eben meine Maßstäbe überprüfen; ich stehe nicht im Einklang. Ich sollte mich der Realität beugen. Ich habe mich nie der Realität gebeugt. Nur darum geht es doch in der SF. (…) Es ist nicht bloß das „ Was wäre wenn?“ Es ist dieses „Mein Gott; was wäre, wenn?“ Rasend und hysterisch. Die Marsianer kommen immer.“ (Lawrence Sutin: " Philip K. Dick. Göttliche Überfälle. Eine Biographie von Lawrence Sutin,Frankfurt,Frankfurter Verlagsanstalt, 1994,S.20)

Jane und Philip eine Bindung auf Lebenszeit & besessen von der Angst vor dem Tod
Am 16. Dezember 1928 erblickten Philip und seine Zwillingsschwester Jane, sechs Wochen zu früh, das Licht der Welt. Jane starb wenige Wochen später. Der Verlust der Schwester prägte Philip gravierend.
„ Das Trauma von Janes Tod blieb das zentrale Ereignis in Phils psychischen Leben. Der Schmerz darüber hielt sein ganzes Leben lang an, manifestierte sich in schwierigen Beziehungen zu Frauen und in einer Faszination am Lösen von dualistischen (zweipoligen) Dilemas- SF/ Mainstream, real/vorgegaukelt, Mensch/ Android ….“ (S.31ebd)

In einem Tagebucheintrag um 1971 beschreibt er seine Angst vor dem Tod:
„ Ich kann nur sicher sein, wenn eine Frau mich beschützt. Warum? Sicher wovor? Ich fürchte mich ganz einfach zu sterben. Davor, daß mein Atem, mein Herzschlag aussetzen. Ich werde mein Leben aushauchen wie ein preisgegebenes Kind. Jane, es ist dir zugestoßen, und ich fürchte immer noch, es wird auch mir zustoßen. Sie können uns nicht beschützen…“ (S.29 ebd)

Janes Präsenz machte es Philip unmöglich eine funktionierende Beziehung zu einer anderen Frau aufzubauen. Er war fünfmal verheiratet. Dies ist ein Zeichen dafür, dass er die Nähe zur Frau zwar suchte jedoch keine Erfüllung fand.

Philip soll sich in der Grundschulzeit eine imaginäre Spielgefährtin ausgedacht haben. Er spielte mit ihr, weil er von Jane wusste. Er sehnte sich nach seiner verstorbenen Schwester. Er gibt an ein sehr einsames Kind gewesen zu sein.

„Heute gehört es, anders als 1928, zum medizinischen Allgemeinwissen, daß von allen Risken, die eine Mehrlingsgeburt mit sich bringt, eine vorzeitige Geburt der Hauptgrund für den Tod eines oder auch beider Zwillinge ist. Psychologische Studien der letzen zehn Jahre haben ferner bestätigt, daß gleichermaßen bei den Eltern wie beim überlebenden Geschwisterteil der Tod eines Zwillings ein Trauma von einzigartigen Ausmaßen hinterläßt.“ (S.35 ebd)

Philip hatte das Gefühl, dass ein Teil von ihm fehlte. Selbstmordgedanken plagten ihn immer wieder.

In einem Tagebucheintrag 1975 schreibte er:
„ Es ist Jane jetzt in mir, die Anima oder das weibliche Prinzip, die tränenreiche Seite, die kränkelt… Es ist Jane die zu sterben versucht. Oder vielmehr ist es eine Wiedeaufführung der der Jane, die eigentlich starb… Es ist Jane-in-mir, die jetzt Angst hat und deprimiert ist. Aber wenn Jane-in-mir stirbt, wird sie mich (den männlichen Zwilling) ,mit sich nehmen, damit ich nicht unterliegen muß.“ ( S.38 ebd)

„ Die bei Zwillingen anzutreffende Besessenheit von Dualitäten- die einander zugleich ergänzen und wiedersprüchlich bleiben- hat Dr. George Engel als twinning bezeichnet, als doppeln oder paaren. Der Dran besteht immer darin, zwei zu sein und doch einzigartig gegenüber allen anderen.“ Dieses Motiv des twinning findet seinen Ausdruck in einer ganzen Anzahl von Phils Kurzgeschichten und Romanen …“(S.38 ebd)

Ein zu nennendes Beispiel dafür wäre Dr. Bloodmoney (1965)

„ In Dr. Bloodmoney wird Janes „verkümmerte Existenz“ fiktional so dargestellt, wie Phil sie in sich verspürte.“ ( S.38 ebd)

Die siebenjährige Edie Keller( Protagonistin in Dr.Bloodmoney) trägt in der Nähe des Blinddarms ihren Zwillingsbruder namens Bill in sich. Bill kann mit einer inneren Stimme zu Edie sprechen. Bill wünscht sich aus ihr heraus zu können. Es handelt sich um zwei Wesen/ Seelen in einem Körper.

Kurz vor seinem Tod schrieb Philip:
„ Sie (Jane) kämpft um mein Leben und ich um ihres, auf ewig. Meine Schwester bedeutet mir alles. Ich bin dazu verdammt, ständig von ihr getrennt/ & bei ihr zu sein, in Oszillation. Sehr schnell. Beides: Ich habe sie in mir, und oft ist sie außerhalb von mir, doch ich habe sie verloren; 2 Realitäten zugleich, Yin/Yang. (S.40 ebd)

Ich denke, dass es wichtig ist diese innere Besessenheit des Autors zu berücksichtigen wenn man den Versuch anstellt seine Werke zu interpretieren.

Quelle:
Lawrence Sutin: " Philip K. Dick. Göttliche Überfälle. Eine Biographie von Lawrence Sutin,Frankfurt,Frankfurter Verlagsanstalt, 1994

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